(3) Für Eurotiker: das waren etwa 25 Cents1964 (4) 1964 beim Bayerischen Rundfunk, SW3 dann ab 1969. (5) Dazu eine kleine Anekdote: der HR-Redakteur, der mich beim Kauf beriet, erklärte mir, es gebe da zwei Harddisks zur Wahl, eines mit 10 MB, eines mit 20 MB. Er rate mir zu 20 MB: "dann hast du für dein Leben ausgesorgt". (6) Nicht alle natürlich! |
So schön. Schön war die Zeit (10) Ein Leben ohne Unvorstellbar! Heute, im Jahr 2013. Aber das gab es. Und vor gar nicht so langer Zeit. Vor fünfzig Jahren etwa. Als ich 1960 von Heidelberg nach München gegangen wurde (1), um mein Jurastudium dort fortzusetzen, war ich so weit weg von meinen Eltern und all den geliebten Beschäftigungen - wie Arbeiten als Lokalreporter oder Spielen in zwei Dixiebands - als wäre ich nach Dubai oder Peking gegangen. Richtig: das Telefon war schon erfunden; aber bei uns zuhause gab es keines. Mein Vater hielt das für überflüssigen, neumodischen und dazu noch zu teuren Firlefanz. Mit möglichen Gesprächspartnern traf man(n) sich, z.B. am Verbindungs-Stammtisch, und meine Mutter hatte so viel zu tun im Haushalt, dass sie ohnehin nur selten Zeit für "Getratsche" hatte. Und ich konnte und sollte doch einfach Briefe schreiben, von München aus. So geschah es dann auch. Und genau besehen war das auch für mich viel angenehmer: ein Brief, alle drei oder vier Wochen genügte, worüber ich nicht informieren wollte, konnte ich einfach weglassen, ohne herumzuschwiemeln oder gar offen zu lügen. Und Nachfragen kamen ebenfalls mit einiger Verzögerung und erlebten dann die gleich Behandlung meinerseits: sie wurden einfach nicht beantwortet, wenn sie mir unangenehm waren. Also: auch mir fehlte damals dieser neumodische Firlefanz nicht (2). Es gab damals überhaupt eine ganze Menge solcher technischen und technologischen Möglichkeiten, die entweder noch gar nicht erfunden oder, wenn doch, nur ganz wenig verbreitet waren. Der Käfer (für jüngere Menschen: das war ein Auto, ehemals KdF-Wagen, später dann "der VW") meines Onkels, ein Cabrio gar, mit dem ich den Herrn Rechtsanwalt damals hin und wieder von seiner Kanzlei in Mannheim zu Prozessen in entfernteren Städten fahren durfte, dieser Käfer hatte zwar - immerhin! - schon eine Servolenkung, aber noch kein synchronisiertes Getriebe, man musste also beim Runterschalten "Zwischengas" geben. Und es sollte auch noch Jahre dauern, ehe der Slogan (eines Volkes der Dichter und Denker zutiefst unwürdig) "Erst gurten, dann starten" die Benützung dieses anfangs noch unelastischen und deshalb luftabschnürenden Sicherheitsgurtes den Deutschen im wahrsten Sinn des Wortes ans Herz legen sollte. Dem Fahrspaß förderlich dagegen war der Spritpreis jener Jahre. Ich erinnere mich, dass ich in München Benzin für einen Literpreis von 49 Pfennig tankte (3). Unvorstellbar? Doch, liebe Zeitgenossen, das gab es. Auch die Anrufbeantworter breiteten sich flächendeckend erst nach den siebziger Jahren aus. Vorher gab es nur drei Möglichkeiten: der angwählte Teilnehmer meldete sich; oder es piepte das Besetzt-Zeichen; oder es piepte und piepte und piepte und piepte, bis man endlich entnervt auflegte. Drei Möglichkeiten gab es auch beim Fernsehen: das Erste, das Zweite und - ein sensationeller Fortschritt - die Dritten (4). Allerdings nur ganz selten länger als bis 24 Uhr, danach sah ein Fernseher, statt wie heute z.B. Kulturdokus über seltene Fischarten im Amazonasgebiet oder sich stöhnend zwischen eingeblendeten Telefonnummern räkelnder Damen, nur stundenlang das starre, tonlose Pausenzeichen. Was es noch so alles nicht gab für uns junge Menschen: Handys; ich war oft stunden- wenn nicht gar tagelang für niemanden erreichbar, weder beruflich noch privat. CDs und DVDs; wir waren schon hin und weg, dass es nicht bloß die kleinen 45er-Schallplatten gab, sondern auch LPs und irgendwann den tollen Zehnplattenwechsler. Computer, in w elcher Form auch immer; meinen ersten, einen Commodore, kaufte ich mir 1986 (5). Und natürlich gab es auch nichts von alledem, was diese (und das sage ich ohne Scherz, Ironie, aber voll tiefer Überzeugung) epochale Erfindung angeregt und ausgelöst und angerichtet und ausgelöscht hat: Emails; es ist einfach phantastisch, dass ich heute Tausende davon gespeichert habe, voll wichtiger Informationen wie z.B. "Sorry, morgen Abend kann ich nicht, da spielt Bayern gegen Stuttgart. LG Ekkes" Und die Antwort: "Ok, dann geh ich eben mit Walter ins Kino." Es gab kein Skype. Kein Internet mit Millionen Infos wie z.B. die dreihundervierundachtzig besten Rezepte für Ossobuco. Kein Google, um diese Rezepte auch zu finden.. Kein Wikipedia mit all den wissenschaftlich fundierten Seiten. Kein Facebook, kein Twitter, keine Blogs, keine Homepages wie sie heute der letzte Schreiner im Bayerischen Wald schon hat, kein YouTube, keine Downloads und Upgrades, rund um die Uhr rund um die Welt, keine IPhones und Ipads (wir hatten allerdings auch schon die Ifersucht, den Igennutz, das Igenheim und die Iliner), es gab keine Tablets, kein amazon, ebay und Esell, Onlinebanking mit PINs und Passwörtern, Hightechpornos mit immer neuem Stetsdemgleichen, kein ELSTER (nein nein: den Vogel hatten wir Deutschen auch schon damals, ich meine das Programm zur elektronischen Steuererklärung). All die Milliarden an Daten mit Tipps und Hinweisen auf Brustvergrößerungsadressen in Nordschweden und Stressvermeidungsinstruktionen deutscher Heilpraktiker... Unvorstellbar, liebe Kinder, wie Menschen leben konnten in Zeiten ohne das alles. Unvorstellbar nicht nur für euch, die ihr im 21. Jahrhundert so lebt, als habe es das alles schon immer gegeben; sondern auch uns Oldies geht dieser Gedanke ab und zu durch das altersbedingt langsamer gewordene Gehirn. Wenn dann aber - und auch das kann vorkommen - sich ein Bedauern einnisten will, ein diffuser Ärger, womöglich gar Spuren von Missgunst und Neid, dann setze ich mich wie in vergleichbaren Stimmungslagen früher auch gern in ein schönes, ruhiges Café zum Nachdenken. Oder ich unterhalte mich mit einem meiner gleichaltrigen Zeitgenossen. Oh, es klingelt an der Tür. Für heute genug. Mehr zu diesen Themen erfahrt ihr, wenn ihr brav seid, beim nächsten Mal.
Ein Leben ohne (2) Bei unserem letzten Treffen, liebe Kinder, habt ihr erfahren, was eure Eltern, mehr noch: eure Großeltern in ihrem Leben so alles nicht hatten, und was aus dem heutigen Dasein überhaupt nicht wegzudenken ist. Und da habe ich in euren Augen und Gesichtern eine kopfschüttelnde achselzuckende Fassungslosigkeit gesehen, ein tiefgefühltes Mitleid und ich habe gespürt, wie ihr euch selbst gratuliert habt, dass ihr nicht in solchen Zeiten leben müsst. Nun will euch kein Mensch, also zumindest ich nicht, eure - wenn denn vorhandene Zufriedenheit mit eurer Gegenwart und deren Wertschätzung nehmen oder auch nur erschüttern. Ich will nur ein bisschen den Eindruck korrigieren, der bei euch entstanden sein könnte bei meiner Schilderung. Wir, eure Eltern und Großeltern, haben nämlich - um es mal so bildhaft-flapsig auszudrücken - in Wahrheit ein wirklich optimales Zeitfenster erwischt (6). Das haben wir nicht immer so wahrgenommen oder gar wertgeschätzt; im Gegenteil: wir haben oft genug herumgemäkelt, genölt, Kritik geübt, protestiert, manchmal ganz laut und massiv. Dazu ein paar Erläuterungen; keine Angst: das wird kein Epos und auch keine Doktorarbeit (die dann hinterher womöglich wegen Plagiats attackiert wird). Angefangen hat das für die meisten meiner Generation, also die Menschen um die 70 rum, geboren noch vor dem Zweiten Weltkrieg (z.B. 1939 wie ich) oder während oder kurz nach demselben, ab 1945. Ich habe schon da besonderes Glück gehabt. Meine Geburtsstadt Heidelberg war fast ganz verschont geblieben von Bomben und Zerstörung. Nach der Befreiung 1945 richteten die USA ihr Headquarter hier ein. Und einer derbraven GIs, mit Namen Jim, verliebte sich in "die Paschka", eine vor den Russen geflohene Polin, die meiner Mutter in die Wohnung hineingesetzt worden war. Da Jim auch meine Mutter, meinen jüngeren Bruder und mich mochte, kamen wir unerwartet und unverdient in den Genuss, mit einem Buick 8 zum Eis-Essen abgeholt zu werden oder an Weihnachten einen Rehrückenbraten geschenkt zu bekommen. Das war nicht der einzige Grund für meine rasch erblühende und sich immer weiter verfestigende USA-Bewunderung (7). An der konnte auch mein Vater nichts ändern, der erst 1950 aus französischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte. Seine Kritik richtete sich gegen die "Kulturlosigkeit" und "Arroganz" dieses Landes. Abzulesen an Blue Jeans, Kaugummi, Cova Cola, Negermusik und der bekannten Ungebildetheit. Es hieß ja, spottete mein Vater, sie hielten Goethe für den Schöpfer des berühmten Gemäldes "Die kleine Nachtmusik". Hahaha! Und solche Figuren wollten uns (!!) die richtige Demokratie beibringen! Dass er nicht lache, knurrte mein Vater oft. Dabei lernten wir Deutschen überraschend rasch den Umgang mit diesen neuen Staatsorganisationsformen. Die Generation meiner Eltern versank zugleich in tiefes Schweigen über das, was sie angezettelt, durchgeführt odet zumindest billigend in Kauf genommen hatten. Manche von ihnen, nein: viele, viel zu viele waren aber wendig genug, sich auch in dem neuen Staat Bundesrepublik Deutschland erfolgreich zu positionieren (8). Uns ging es ja auch überraschend rasch wieder besser, durch das "Wirtschaftswunder" sogar wirklich gut. Die Trümmer schnell weggeräumt, die Städte (wenn auch oft sehr hässlich) wieder aufgebaut, die Entnazifizierung, oft eine Kurzwäsche im Schongang und ohne Schleudern, das und manches andere führten zu einer "lupenreinen Demokratie". Und viel schneller als erwartet traf Wirtschaftsminister Ludwig Erhard das Gefühl im Land mit dem schönen Satz "Wir sind wieder wer", besonders gespenstisch ausgebrochen in dem wilden Jubel nach dem End(spiel)Sieg der Fußball-Nationalelf in Bern 1954: WELTMEISTER!! Na also! Wir hatten doch alles, was wir wollen konnten, auch wir Teenies und Twens. Das einzige, was uns fehlte, verglichen mit dem, was die jungen Leute von heute so alles haben dürfen, waren diese ganzen kleinen und großen technischen Wunderwerke. "Echt schade, das", sagte ich vor ein paar Tagen an einem schönen Sommerabend bei einem guten Glas Rotwein zu meinem besten Freund Frieder. "Das wäre doch was gewesen! Manchmal könnte ich unsere Kinder und Enkel so richtig beneiden." Mit diesem leicht dahingesagten Satz löste ich bei Frieder ohne es zu wollen einen bemerkenswerten Fluss der Rede aus. "Was??! Drehst du gerade durch? Bist du noch ganz dicht?" schnaubte er. Hast du vergessen, was wir stattdessen alles hatten? Oder hast du das verdrängt? Du zum Beispiel! Du warst mit zwölf in einer Jugendgruppe. Mit 19 hast du in zwei Dixie-Bands das Klavier misshandelt. In München hast du in einem Studentenheim gewohnt, wo du auch, mit drei anderen, dein erstes Kabarettprogramm vorgestellt hast. Nicht viel später dann ein richtiges, jahrelang auftretendes Studentenkabarett." Frieder nahm einen mächtigen Schluck aus dem Glas. "Und dann: du warst bei den "Schwabinger Krawallen" dabei. Ebenso aktiv als "68er". In der Jugendzentrumsbewegung. Bei den Ostermarschierern, den Berufsverbote-Gegnern, manchmal auch bei den AKWlern und Ökos. Hast du die Demos vergessen? Bonn im Mai 1968. Im Oktober 1981, im Juni 1982. Das Riesenkonzert "Künstler für den Frieden" in Bochum? Hunderttausende auf den Straßen! oder auch die vielen kleinen Veranstaltungen, bei denen du..." "Is gut, is gut!" schnaufte ich. "Und was soll die Litanei? Zitierst du meine Verfassungsschutzakte?" "So ein Quatsch! Du weißt genau, worum es mit geht. Statt sms hatten wir den SDS. Statt mit geistesverwirrtem Blick und Stöpseln im Ohr in der U-Bahn vor uns hinzuglotzen, haben wir diskutiert, miteinander geredet, uns angebrüllt und wieder vertragen, große Ideen gewälzt, von Revolutionen geträumt. Und trotz der ganzen versuchten Einschüchterungen, diesen Scheiß-Berufsverboten, den geballten Kampagnen der Medien - wir hatten doch nie Angst, mussten auch keine Angst haben, wir könnten nicht in dem Beruf arbeiten, für den wir ausgebildet waren. Und vor allem: wir hatten Freunde, richtige Freunde, keine Facebookgespenster. Und schau mal heute: Jugendarbeitslosigkeit, auch bei uns, noch nicht so dramatisch wie in Spanien, Griechenland, Italien. Millionen in Leiharbeit. Zeitverträge. Sorry für diese Ausdrucksweise: der entfesselte Kapitalismus, die hemmungslose Finanzindustrie, liebedienerisch gehätschelt von den neoliberalen Regierungen, alle voran die "mächtigste Frau der Welt", unsere süße Angela, Kohls Mädchen. Und was machen "die Kids" von heute dagegen? Was können sie machen? Simsen. Twittern. Facebooken. Googlen. Emailen. Posten. Kommentare in schlechtem Deutsch in die Welt bloggen. Mit angewachsenen Kopfhörern chatten. Sich geile Witze auf dem Tablet servieren lassen..." "Du bist doch auch bloß neidisch, weil du das alles nicht gehabt hast und auch heute noch nicht kannst. Ist doch Klasse, das alles..." "Klasse? Das ist nicht Klasse, sondern bloß und nur noch Kasse. Die Konzerne, die das Zeugs produzieren, verdienen sich dumm und dämlich. Aber damit könnte ich noch umgehen, gute Arbeit ist ihres Lohnes wert, haha, haha. Aber der Effekt, der sehr wohl beabsichtigte Effekt ist längst eingetreten. Auf der einen Seite Kapital und Regierungen verzahnt und auf der anderen Seite? Isolierte machtlose Einzelkämpfer. Ja Scheiße, von wegen Kämpfer..." Hier breche ich den Bericht über unser launiges Geplauder ab. Was soll's auch. Und zugleich damit beende ich auch diese Mini-Serie unter dem Titel "So schön" in "Die Transdemokratie". Warum? Auch hier nur knapp eine Antwort: Weil meine Rente (die noch nicht mal mehr "sischä" ist, Herr Blüm!) nicht für mein Leben reicht, ich also noch etwas dazu verdienen muss. Und das frisst Zeit. Zeit, die ich nicht mehr für solche Luxusgeschichten vertändeln kann wie Texte schreiben und all das. Was vielleicht Spaß bringt, aber nicht (wie früher eben doch noch) auch nur einen Euro. Also: Ciao! 31. Juli 2013 PS; Ebenfalls wegen mangelnder Zeit habe ich diese letzte Ausgabe der Transdemokratie nicht wie sonst überarbeitet, weder inhaltlich noch formal. Ich bitte um Nachsicht, auch für noch vorhandene "Druckfehler"...
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(1) Eigentlich wäre ich viel lieber in der Stadt "an Ehren reich" geblieben. Aber meine Eltern missbilligten meine damalige Freundin... (2) Die Fairness gebietet es jedoch unerbittlich zuzugeben, dass zwei Jahre später dann auch in meinem Elternhaus so ein klobiger schwarzer Apparat mit dem unbarmherzig unabänderlichen Klingelton Einzug hielt (7) Damit ich es nicht vergesse: die hat sich später fast in ihr Gegenteil verkehrt - als ich vom Vietnamkrieg erfuhr, von Watergate, der Ermordung von Präsident Kennedy und Martin Lutzer King; und der Politik von Figuren wie Nixon, Reagan, George W. Bush. |