(1) Mein Studium begonnen hatte ich mit Philosophie und Kunstgeschichte. Wie und warum ich dann zu Jura wechselte, ist eine längere andere Geschichte...







































  





























































So schön. Schön war die Zeit
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(Nachdem ich diese uralte Geschichte neulich Freunden erzählt habe, bei einem abendlichen Glas Wein, so als Dönkes von dunnemals, und diese meine Freunde meinten, das sei doch des Festhaltens wert, geschieht dieses hiermit)

Wie ich dermaleinst kein Dr. iur geworden bin

Um wieder einmal mit dem Ende anzufangen: Irgendwann habe ich es dann aufgesteckt. So wichtig war mir der Titel eines Dr. jur. dann doch auch wieder nicht. Seither liegt mein Versuch einer Dissertation, 138 Schreibmaschinenseiten stark, in einem hellroten Schnellhefter irgendwo in meinem Aktenregal, versehen mit den Korrekturanmerkungen von Prof. Dr. mehrfach Axel Freiherr von Campenhausen, Kirchenrechtler; richtig: es ist derjenige welcher in den 80er Jahren in der RTL-Sendung "Der heiße Stuhl", auf demselben sitzend, cool und unbeirrt wie immer für eine Wiedereinführung der Todesstrafe in Deutschland plädierte.

Angefangen hatte das alles 1963. Bei der Immatrikulation für ein weiteres Semster an der Uni München nickte mir der freundliche bayerische Verwaltungsmensch zu: "Oisdann, Ihr letztes Semster, Herr Frank..." Und als ich irritiert fragte warum, erfuhr ich, dass nach zwölf Semestern eben Schluss sei, Schluss, aus, amen. "Und was mache ich da?" wollte ich wissen. Nun, er wolle mir nicht zu nahe treten, war die Antwort, aber normalerweise stünde dann das erste Staatsexamen an.

Aha.

Wie unschwer zu erkennen, war das Jurastudium nicht mein hauptsächliches Interesse (1). Viel wichtiger für mich waren Reisen zu zweit, meist per Anhalter, nach Paris, an den Gardasee, ans Mittelmeer; oder das Klavierspielen in einer Dixieband. Oder sowas eben.

Aber gut, warum nicht, dann also Examen. Bei meinen Vorbereitungen fiel mir irgendwann auch die Promotionsordnung für Juristen in die Hände. Voraussetzung war, so las ich, unter anderem eine erfolgreiche Digesten-Exegese (eine Übung in Römischem Recht) und ein Hauptseminar. Die Teilnahme an ersterer war kein Problem; aber das einzige Hauptseminar, in dem es noch einen Platz gab, war jenes in protestantischem Kirchenrecht (in München!), geleitet von Prof. Dr. Siegfried Grundmann. Er nahm mich gerne auf.

Ein weiterer wichtiger Schritt war dann der Besuch bei einem jener Repetitoren, ohne dessen Hilfe kein Jurastudent ins Examen ging. Außer mir: als ich bei einem ersten Testbesuch mitbekam, was die anwesenden rund 200 Kommilitoninnen und Kommilitonen schon so alles wussten und wovon ich auch nicht die leiseste Ahnung hatte, ließ ich mich dort nicht mehr blicken; stattdessen besorgte ich mir das Fernrepetitorium von Hartmann.

Rein zufällig war das eine weise Entscheidung. Bei meinem dann folgenden Staatsexamen wurden nämlich, wie immer mal wieder, Aufgaben gestellt, bei denen die von den gängigen Repetitoren eingebimsten Bearbeitungsmethoden nicht viel halfen. Ich erinnere mich an das verzweifelte Stöhnen von Mitprüflingen nach den Klausuren: unmöglich, was sollte man da denn schreiben?! Ich konnte nur mit den Achseln zucken: ich hatte geschrieben, was mir dazu gerade so einfiel. Und siehe da: ich hatte - wider eigenes Erwarten - bestanden. Und bekam nach der mündlichen Prüfung sogar den "Promotionsvermerk".

Um alsbald vor der nächsten Hürde zu stehen. Als ich mich bei Prof. Bockelmann, einem der damals renommiertesten Strafrechtler, wegen einer Doktorarbeit meldete, fragte der, ziemlich kühl, ob ich denn bei ihm ein Hauptseminar absolviert hätte? Nein, bei Prof. Grundmann. Na, dann gehen Sie eben zu dem, wurde ich beschieden.

Und so geriet ich denn auch an mein Thema, ich wählte es unter den dreien aus, die mir Prof. Grundmann angeboten hatte, es lautete: Gewaltenteilung im Kirchenverfassungsrecht. Das klang doch halbwegs spannend. Zumal ich mich inzwischen mehr und mehr für Politik interessierte und so auch viel mit dem Grundgesetz und der zarten und unsicher tapsenden Entwicklung der zweiten deutschen Demokratie beschäftigte.

Mein Thema hatte ich also, den "Doktorvater" auch - aber erst mal überhaupt keine Zeit für sowas. Die brauchte ich fast vollständig für meine neue Obsession: das von mir mitgegründete Studentenkabarett "Die Stichlinge". Und nach mehr als einem Jahr kam dann in eine unserer Aufführungen ein ehemaliger Kommilitone, der mich anschließend beim Bier fragte, was ich denn sonst noch so triebe, juristisch z.B. Na Gott, sagte ich, das Referendariat halt; und: ich promoviere bei Grundmann. Du HAST promoviert, meinte der Kollege. Nein, nein, wieso, ich... Na, der Grundmann ist doch gestorben, so vor vier Wochen oder so...

Tja. Und der Nachfolger auf dem verwaisten Lehrstuhl war eben der bereits in die Handlung eingeführte Prof. Dr. Freiherr usw. usw. Er verkündigte alsbald viel Bedeutendes. Für mich wichtig war nur: er übernehme auch alle Doktoranden seines verstorbenen Vorgängers. Also auch mich. Bei dem dies klärenden Besuch trat dann übrigens auch eine meiner problematischsten Begabungen zutage: eine naive, oft ahnungslose Gutgläubigkeit. Manchmal hart an der Grenze zur Dummheit angesiedelt. Was in diesem Fall hieß: ich arbeitete, wenn ich gerade mal Zeit fand, mein Werk aus, ganz allein, ohne mich mit dem Herrn Professor abzustimmen. Entsprechend das Ergebnis: Als ich meine Arbeit abgegeben hatte, ließ mir der Herr Freiherr kurz darauf mitteilen, ich solle mein äh, Dingsda doch bitte wieder abholen. Ich tat es. Und bekam beim Lesen seiner Korrekturanmerkungen rote Ohren. Und Anfälle von Fassungslosigkeit. Ein Beispiel nur: ich hatte in der Einführung geschrieben, unter anderem: 

"Mehr und mehr aber setzt sich in unserer westdeutschen, verhältnismäßig noch sehr jungen Demokratie das Bewußtsein durch, daß eine nur formale Gestaltung des staatlichen Lebens nicht ausreichen kann. Immer mehr Menschen begreifen, daß ihre ganz persönliche Mitverantwortung sich nicht auf mehr oder weniger intensive Beobachtung und periodisch festgelegte aktive Teilnahme (in Wahlen) beschränken läßt, sondern dass es um das Mitdenken, Mitentscheiden und Mitgestalten im täglichen Leben, im eigenen Lebens- und Wirkungskreis geht". Der handschriftliche Kommentar des Herrn Professors daneben: "Ulbricht-Zitat?!" Und weil das einfach so schön anzusehen ist, hier der Scan:

Kopie Korrekturvermerk

Was den frommen und (auf-)rechten Kirchenjuristen aber besonders erregte - und von heute her gesehen verstehe ich das nur zu gut! - war das Ergebnis meiner wissenschaftlichen Mühen. Es sei, so meinte ich, ein bisschen zu hochgestochen, einer Kirche, also einer religiösen Gruppierung in der Gesellschaft, eine Organisationsform zu verpassen, die für Staaten ersonnen wurde und dort auch ihren Sinn habe. Warum, so meinte ich, gebe sich die Kirche (also auch die evangelische) nicht eine Satzung, so wie andere Vereine auch? Dann käme das komplizierte Konstrukt einer "Gewaltenteilung" gar nicht erst in eine ohnehin schwierige Diskussion...

So gehe das nicht! Unmöglich!! Frechheit!!! Das müsse total umgearbeitet werden!! Auch der ganze Aufbau! Und überhaupt...!!!!

Ich erleichterte das schwere Leben des (inzwischen Dekan gewordenen) Herrn Professors (und mein eigenes natürlich auch), indem ich seinen Vorschlag annahm und meine Arbeit unauffällig zurückzog. Mich selbst zog es inzwischen ohnehin weg von München und Jurisprudenz hin nach Stuttgart, zur Fernsehabteilung des SDR. Wo ich erst Autor und Redakteur und bald dann auch Produzent des TV-Quiz "Wer dreimal lügt" wurde; und in der Folge dann auch noch einiges andere mehr. Das Fehlen des Titels Dr. iur. utriusque übrigen hat mich weder damals noch später in meinem ganzen Leben irgendwie behindert.

09.09.2012