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von DER TRANSDEMOKRAT

DER
TRANSDEMOKRAT
Nummer 93

"Landwirte sind die Ölscheichs von morgen"
(Unglaubliche Drohung der Agrarministerin von heute, Renate Künast - wenn das George W. und vor allem Dick Cheney mitkriegen!!!)
Ostern 2004 (11.04.2004)
Ungeschützt - Unzensiert - Unzivilisiert
IMPRESSUM: 
Ersteller: 
Ekkes Frank * Hamburgerstr.2-4 * 50668 Köln * Tel. 0221-139 4801 
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Inhalt:
Editorial
The Global Play
Alle Ostern wieder (Krieg)
Aus der Welt der Talkshows
Osterrätsel: Wieviel Männer und Frauen?
Die Garanten der Freiheit
Unsägliche Hetze gegen Leistungsträger!
Der TransDemokrat als SPD-Berater
Personalvorschläge: neue Minister
Schnipsel
Blümerante Ansichten / Mehr Ausländer-weniger Priester / Gottesbezug
Persönliche Anmerkungen
Notizen (12): Ein Jazzkonzert in Ostra
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Editorial

Von Heribert Fassbender, dem Sportreporter, der so überflüssig war wie das i in seinem Namen, stammt angeblich die Phrase "...da hat er alle Zeit der Welt" (um das Tor zu machen). Die Phrase stimmt mich nachdenklich: wie viel Zeit bleibt mir noch? Ach du lieber Himmel - jetzt kommen uns Seine Larmoyanz auch noch aus dem heiter-sonnigen Land, wo die Zitronen blühn, mit Düstergedanken! Nein, nein! Weder noch: hier ist an diesem Ostersamstag überhaupt nichts heiter-sonnig, sondern seit gestern ein  Wetter wie im November in Westrhauderfehn, es blühen keine neuen Südfrüchte, sondern allenfalls alte Neurosen. Und ich denke gar nicht düster, sondern wieder ganz positiv: obwohl ich weiß, dass objektiv meine Zeit immer weniger wird, habe ich das Gefühl - ja, eben fassbendersch: dass ich alle Zeit der Welt habe. Natürlich gibt es eine Menge zu tun, jetzt, wo die Baustelle da ist, auch andere Termine und Aufgaben sind wahrzunehmen; aber kein wirklicher Druck, keine Hektik, auch keine selbstverordnete, deshalb auch die lange Pause seit der letzten Ausgabe des TransDemokraten, was den einen Bezieher oder die andere Leserin bereits zu besorgt-mahnender Nachfrage veranlasste.

Dabei gibt es natürlich zu aller Zeit in dieser Welt genug, mehr als genug sogar, sich damit fröhlich zu befassen. Zum Beispiel, dass immer mehr Menschen in den Genuss des christlichen Ostergedankens kommen: jetzt auch die ex-heidnischen Iraker, denen die fromme Allianz der Willigen seit über einem Jahr zeigt, was eine demokratische Harke ist. Allerdings verstehen die tumben Nah-Ossies da noch manches miss: wenn wir von Auferstehung reden, meinen wir doch nicht das, was sich da nun unter Führung des Herrn Muktada al-Sadr (schon wieder so ein komplizierter Name, den man sich vermutlich wird merken müssen) flächenbrandmäßig ausbreitet.
Auch im europäischen Osten wird dem neuen Heil, das der WWW, der WahrhafteWerteWesten, ihm auf geradezu unwidersteh-
liche Weise anbietet, nicht immer die zu erwartende Begeisterung entgegengebracht, ich sage nur: Kosovo, Russland, Bulgarien. 
Kein Wunder, dass deshalb zur Zeit in Rom die höchste Alarmstufe herrscht. Hier geht schließlich alles zusammen und durcheinander zugleich: im Zentrum eines der signifikantesten Herde der westlichen Werteküche sitzt ein alter Mann, der nach wie vor gegen den Krieg des bisher ungewählten US-Präsidenten und für den Frieden ist - zugleich aber für radikale Moslems ein Symbol für all das ist, was sie bekämpfen. Gut, dass Gerhard Schröder, unser süßer Kleikaz, seinen 60. Geburtstag nicht in Rom, sondern woanders in Italien feiert - sonst hätte vermutlich die Heilige Stadt evakuiert, die Pilger in die Poebene geschickt und das Urbi-et-Orbi-Spektakel dorthin übertragen werden müssen, was ja lange nicht so pittoresk und unterhaltsam gewesen wäre.

Was sich dieser Tage in Deutschland abspielt, ist nicht weiter der Rede wert. Diese halbe Million Demonstranten vom 3. April geht der rotgrünen Regierung an dem gleichen Arsch vorbei, in dem auf Grund ihrer alternativlosen Reformpolitik bereits der Arbeits-
markt, das Krankenversicherungswesen, die Rente und der Klimaschutz sind. Jetzt konzentrieren sich die beiden Koalitions-
partner darauf, die Schimpfworte "sozial" und "ökologisch" von ihrem guten Namen wegzupolieren, zum Glück gibt es ja Figuren, denen man sie ans Hemd kleben kann, z.B. Norbert Blüm (s.u. Schnipsel) oder Erhard Eppler; die sind ja derart vergreist, dass sie ruhig herummenetekeln können - auf die hören heute noch weniger Leute als vor etwa zwanzig Jahren, und schon damals waren das bloß ein paar mehr oder weniger linke Spinner.

Damit bin ich zwanglos bei den Ostermarschierern gelandet - dieses Jahr bin ich leider nicht dabei, deshalb von hier aus meine solidarischen Grüße. Natürlich auch an alle, die ebenfalls ohne zu marschieren dabei sind und jene, die nach dem Marschieren dies hier lesen. Bis zum nächsten Mal:

Der TransDemokrat

The Global Play
(früher: Außenpolitik)

Alle Ostern wieder...
...ist es an der Zeit, unseren größten deutschen Dichter zu zitieren (den Osterspaziergang aus "Faust 1"), in aktueller Abwandlung:

Nichts Schön'res weiß ich mir in diesen Tagen
Als ein Gespräch von Bagdad und vom Hindukusch
Wenn unsere großen Helden, Blair und Bush
Den Heiden unsre Freiheit um die Ohren schlagen.

Zur gefälligen Erinnerung:


1999: Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien

Mit deutscher Beteiligung (ein klarer Verstoß gegen Art. 26 GG) weil - aber die ganzen Begründungen haben sich ja inzwischen als Lügen, Irrtümer und Täuschungen entpuppt. Ohne Folgen für die Täter.
Erfreulich immerhin: Rudolf Scharping hat (als einziger der damals Agierenden!) die Konsequenzen gezogen und ist baden gegangen.

2002: Krieg in Afghanistan 

Deutschland ist auch wieder dabei und lernt für seine neue Rolle: wir werden uns in Zukunft in der ganzen Welt verteidigen (daher der neue Schnack: "Ihr könnt uns mal am Hindukusch!"). 
Und die Regierung kann zufrieden sein - so wie ihr Staatsvolk zu zwei Dritteln auch: das ergab damals eine Online-Umfrage.
 

2003: Der Krieg gegen den Irak

Diesmal spielt der Kleikaz nicht mit und auch der für alle Zeiten beliebteste deutsche Poli-Ticker (Georg Kreisler), der Grünen-
Häuptling "Geschmerzte Dackelfalten", hält sich zurück - die Stimmung im Volk ist zu klar, das hat nicht zuletzt die Wahl 2002 gezeigt.

2004: Der Krieg im Irak geht weiter

Hier die Schlagzeilen von heute aus dem Internet:

- Vermisste Deutsche möglicherweise tot 
Im Irak werden nun auch zwei Deutsche vermisst. Die Mitarbeiter der Sondereinheit GSG 9 wurden nach Augenzeugenberichten in der Nähe von Falludscha überfallen. Die Bundesregierung schließt nicht aus, dass die beiden tot sind
- Offenbar Waffenstillstand in Falludscha

Deshalb wird es auch jetzt und in Zukunft solche Bilder geben:
In diesem Sinne: 

     Fröhliche Ostern!

In diesem Zusammenhang ein Hinweis: was diese Kriege auch bei jenen anrichten, die sie als Angreifer mitmachen und überleben, ist beklemmend zu sehen in dem Feature "Gebrochene Helden - US-Soldaten nach den Kriegen im Irak" von Ingelis Gnutzmann, Musik: Matthias Thurow, zu sehen in der ARD am Mittwoch, 14. April 2004, 23 Uhr (Ausstrahlung bei Phoenix vorgesehen für Donnerstag, 15. April 2004, 20.15 Uhr

Aus der Welt der Talkshows
(früher: Aus Bund, Ländern und Gemeinden)
Und hier das beliebte Osterrätsel: was ist auf dem nebenstehenden Bild zu sehen?

1. 5 Männer
2. 4 Männer und eine Frau
3. 3 Männer und 2 Frauen
4. 3 Frauen und 2 Männer
5. 4 Frauen und 1 Mann
6. 5 Frauen.

Auflösung und Preisträger in der nächsten Ausgabe!

Die Garanten der Freiheit
(früher: Wirtschaft, Markt und Börse)
Unsägliche Hetze gegen Leistungsträger!

Lustig! Ernst Welteke mit dem launigen 
Beweis, dass er schon früher, als es
noch die D-Mark gab, immer wusste, wie
er seine mageren Einkünfte ein klein
wenig aufbessern konnte: schließlich 
hatte er den Zugang zur Bundes-Bank-
noten-Druckerei...
Und wieder trifft es die falschen: ausgerechnet den biederen Sozialdemokraten Ernst Welteke hat die Terrorgruppe MA-AO (Miese Anonyme Anschwärz-
Organisation) im Visier. Was hat er denn schon getan? Er hat sich einladen lassen - Gott, das mache ich auch zwei, drei Mal im Monat. Gut, bei mir sind es mal eine Pizza oder auch Spiedini misti, das kostet nicht - wie der 4-tägige Besuch von Herrn Welteke mit Familie im Hotel Adlon - 7761 Euro, sondern 30 oder auch mal 45 Euro. Aber es geht doch ums Prinzip! 
Völlig zu Recht weigert sich Welteke zurückzutreten, gar noch auf die gleiche Art wie man ihn getreten hat. Das wäre ja fast wie das Eingeständnis, er hätte etwas Falsches getan. Dabei hat er bloß gespart - angesichts der lächerlichen Almosen von 350 000 Euro, die er pro Jahr kriegt, höchst vernünftig und zeitgemäß! Sein Parteifreund, Gerhard G-Punkt, spart doch auch an allen, den Arbeitslosen, den Rentnern, den Patienten. Nein nein: Ernst Welteke, halte durch! In spätestens acht Tagen ist der nächste Korruptionsfall in den Schlagzeilen, dann kräht kein Hahn mehr nach dieser Geschichte!

Aber auch sonst haben es die Männer (Frauen sind hier kaum im Spiel, komischerweise, wir haben doch die Gleichberechtigung längst voll verwirklicht in Deutschland, siehe oben unser Osterrätsel!), die allein unsere Werte schaffen, verdammt schwer. Neuerdings kommen sogar wieder Klassenkampftöne auf (siehe unten Schnipsel "Blümerantes"), der Wolfgang Ullmann schreibt im "Freitag" sogar wörtlich, man müsse "Dem Klassenkampf von oben die Demokratie von unten entgegenstellen". Auch wenn man letzterem zugute halten muss, dass er in der Ex-DDR durch solche Begrifflichkeiten völlig versaut wurde - das geht einfach zu weit! Jawohl, Männer wie Ackermann, Esser, Hundt, Rogowski, Gerster, Zwickel, Welteke e tutti quanti sind Klasse. Jawohl, diese Männer kämpfen auch - aber nur um täglich neue Arbeitsplätze zu schaffen, vorhandene beizubehalten und deren Inhaber jedes Jahr deutlich besser zu bezahlen, während sie selbst bescheiden in ihrer Lebensführung die eigenen Bezüge allenfalls mal um 60 Prozent erhöhen. Und das soll "Klassenkampf von oben" sein?
Also, wenn Sie mich fragen - ich kann nur sagen: ja, stimmt eigentlich.

DER TRANSDEMOKRAT als SPD-Berater
Mal wieder ein Rat an die ehrwürdige SPD (der 5. von allen):

Die Rochade an der SPD-Spitze war ja wirklich toll, aber noch immer gibt es ein paar kleinere Personalprobleme - ich sage nur Eichel, Stolpe, Schmidt, Bulmahn. Lieber Münte, lieber Gerhard, lieber Benni Bürgerfreund - es gibt doch genug Ersatzleute, die auf eurer Bank sitzen (im wahrsten Sinn des Wortes) zum Beispiel der Ernst Welteke. Der ideale Finanzminister, er hat doch gezeigt, dass er weiß, was sparen heißt. Und er hat sich damit gesundgestoßen - was ihn zur gleichzeitigen Übernahme des Ressorts von Ulla Schmidt prädestiniert. Für die Frau Bulmahn würde ich den Fred Breinersdorfer nehmen - dass er seinerzeit für die Herta Däubler-Gmelin die Trommel gerührt hat, sollte man ihm nicht nachtragen, es war ja schließlich auch eine Veranstaltung im Namen und auf Kosten des VS (Verband deutscher Schriftsteller), und der hat ihm das ja auch schon längst verziehen. Für den Verkehrsminister gäbe es auch einen Fachmann, dass der mal grün war, sieht man ihm schon ewig nicht mehr an, er ist außerdem ausgewiesener Experte, weil Porsche-Fan: genau, der gute alte Rezzo Schlauch, von dem man leider viel zu wenig hört, in den letzten Jahren.
Na, ist das was?

Obwohl es eigentlich viel mehr wert wäre, will ich mich aus österlicher Milde heute damit abfinden, dass mir statt der üblichen Million im Koffer eine Woche im Adlon-Hotel in Berlin bestellt und bezahlt wird, und zwar nicht nur für mich, sondern für eine von mir noch zu benennende Gruppe aus Familie und FreundInnen. Wenn das Adlon grade nix frei hat, kann es auch das Oriental-Hotel in Bangkok sein. Vorschläge bitte auf dem üblichen Weg und wie immer ohne irgendwelche Mitteilungen an den Fiskus, ja?!

Schnipsel 1 2 3
Blümerante Ansichten

Die neue Dreifaltigkeit neolibera-
ler Doktrin lautet: "Deregulierung, Privatisierung, Kapitalisierung." (...) Der Erfolg liegt auf der Hand: Die Armut der Armen und der Reichtum der Reichen hat global zugenommen. (...) Wie im Todes-
kampf entfaltet das Kapital ... neue Hyperaktivitäten. Die Welt soll offenbar voll kapitalisiert werden. Das Kapital wird zum Goldenen Kalb, um das die Globalplayer tanzen.
(Norbert Blüm, von 1982-1998 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung)

TransD: Hallo, CDU/CSU! Wie lange wollt ihr diesen grausigen Verirrungen eines Neo-Marxismus-Senilismus noch tatenlos zusehen? Denkt an das Wort von Gerhard Schröder (auch wenn der von Ausländern sprach): Raus mit ihm - aber schnell!!!!
 
 
 
 

 

TransD grübelt: ob es da einen Zusammen-
hang gibt? Und wenn ja, welchen? Oder eher anders herum? 
Sachdienliche Hinweise bitte an
capo@der-transdemokrat.de

 

TransD bedankt sich bei der CSU für diesen Tipp! Nachdem wir den Bezug der SZ gecancelt haben, fehlt uns irgendwie doch etwas. 
Wir schließen uns deshalb dem hier geäußerten Wunsch vollinhaltlich an (die Adresse für die Lieferung ist bekannt).

 

   Persönliche Anmerkungen


Nicht nur ein neues Jahr steht an: ein neuer Lebensabschnitt. Italien - ein neues, noch weithin unbekanntes Land; ein neues Zuhause, neue Nachbarn. Nicht mehr als Besucher hier, als Tourist, nicht mehr die Unverbindlichkeit, nicht mehr das Bewusstsein, jederzeit zurückkehren zu können in eine vertraute, bekannte Lebensform. 
Herausforderung, selbstgewählt: sich einlassen auf radikale Veränderung. Neugier und Spannung, zugleich die alten Ängste. Ich bleibe ja, der ich war. Was und wie ich geworden bin, kann ich nicht ablegen. Ich habe mich mitgenommen hierher.
Herantasten an das Andere, es erfahren, erleben, verarbeiten, täglich neu der Versuch, es zu begreifen. Die kleinen Banalitäten ebenso wie die existentiellen Unterschiede. Eine Hilfe dabei: Reflexionen, Notizen, Berichte, Beobachtungen.

Notizen (12): Ein Jazzkonzert in Ostra
(Diese Geschichte ist, wie unschwer schon am Anfang zu erkennen, nicht die aktuellste; aber sie ist wichtig genug für mich, auch jetzt noch, 
wo die ersten knallgelben Büsche am Rand der Wege hier den nahen Frühling ankündigen und der Schnee von gestern schon fast vergessen ist.)
Kurz nach fünf beginnt es zu schneien. Aus dem Vorfrühlingstag wird eine Winternacht, kaum hundert Meter weit kann man noch sehen, die Flocken so dick wie im Skiurlaub in St. Anton. Immerhin, jetzt können sich die kürzlich gekauften Winterreifen bewähren. Ich will heute Abend nach Ostra fahren. Jazzkonzert. Die ursprüngliche Information „in einem Zelt“ wird zu meiner Beruhigung korrigiert: im Theater. Ein Theater in Ostra? Für 6000 Einwohner, mitten in der Provinz? Wird eine Turnhalle sein oder ein Gemeindesaal, so wie in Bornheim oder Weilheim/Teck oder Warendorf eben.
Der Vorfrühling schlägt die Winterattacke zurück: als ich um halb acht losfahre, sind die Straßen frei. Um acht sitzen wir dann in der Pizzeria in Ostra, in der Nähe der Piazza, wo wir uns getroffen haben. Wir: das sind acht Teilnehmer des Italienisch-Sprachkurses in der „Unitre“ von Corinaldo. Heute fällt der Unterricht aus, es ist Karnevalsdienstag. Stattdessen eben dieses Treffen hier. Das Essen gut, nur dauert es endlos bis es kommt, aus einer superschicken chromblitzenden Küche, die man durch die Schwingtür sehen kann.
So hat das Konzert schon begonnen, als wir mit akademischer Verspätung um viertel vor zehn im Theater ankommen. Die erste Überraschung: der Eintritt ist frei. Ich erinnere mich: in Deutschland bedeutete das oft nichts Gutes – wenn etwas nix kostet, taugt es auch nix, also geht man da nicht hin, der Raum bleibt fast leer. Die nächste Überraschung: die junge Frau am Eingang erklärt, der Saal sei voll, es gebe nur noch Stehplätze, am Rand, wenn wir das wollten. Wir wollen. Nächste Überraschung, mir fallen fast die Augen aus dem Kopf, beim Betreten des Theaters. Es ist klein, natürlich – aber Stil und Atmosphäre wie in der Mailänder Scala. Historischer Bau, Guckkastenbühne, Stuhlreihen für etwa 60 Besucher im Parkett, dieses umrahmt von Logen, auf zwei Etagen, und darüber noch eine Galerie. Die Phantasie fliegt in die Geschichte zurück – so muss es ausgesehen haben, wenn Casanova sich in Köln mit der Gattin des Bürgermeisters beim „Diener zweier Herren“ traf, vor dem anschließenden, intimen Souper… Ich höre die Schauspieler deklamieren, das Lachen des Publikums, das Flüstern der Verliebten…
Nein: ich höre – Jazz. Die Musik holt mich zurück ins 21. Jahrhundert. Die vielleicht größte Überraschung des Abends – was die drei jungen Männer des Bill-Carrothers-Trios aus den USA bieten, ist Weltklasse. Der pummelige Schalk am Schlagzeug, der trommelnd Dialoge mit dem Piano führt, oder auf der rhythmisch-kontrapunktischen Grundlinie, die ihm der schüchtern-bescheidene Junge am Kontrabass hinlegt, unglaubliche Improvisationen findet; der Pianist, keine Schuhe an, weiße Strümpfe, auf seinem Hocker vor den Tasten kauernd, zögernd, wartend, bis sie ihn zum Zugreifen ermuntern, dann aber ein furioser, brillanter Musiker, nicht nur ein perfekter Techniker (was muss der Knabe geübt haben, seit er die erste Klavierstunde hatte…!). Und die drei sind aufeinander eingespielt, verstehen sich zu jeder Zeit, spielen miteinander, nicht nebeneinander her, spulen nicht bloße Routine ab. Modern Jazz, kein Free Jazz. Ihre CD, die ich später kaufe, hat den Titel „Swing Sing Songs“. Immer wieder Anspielungen auf bekannte Titel, einmal erklingt die Passage „there will never ever be another you“, aber gleich darauf wieder aufgelöst, abgewandelt, verfremdet, harmonisch gebrochen ins Moderne. Bernard Pfeiffer, der Franzose, fällt mir ein, oder Keith Jarrett, den auch die Ankündigung im Programmflyer zum Vergleich heranzieht. Das Programm, in dessen Rahmen das Konzert heute steht, hat den Titel „Le Strade del Jazz“, findet zum 5. Mal statt, mit acht Konzerten in der ganzen Provinz Ancona, die das alles auch finanziert. Glückliches Italien! In der BRD wäre so was längst gestrichen, zugunsten eines Mammutfestivals wie die Ruhrtriennale zum Beispiel…
Den ersten Teil des Konzerts höre ich im Parkett, mit den andern auf dem Boden sitzend. Dann sehe ich, dass auf der ersten Etage offenbar eine Loge frei wird. Auf dem Weg dahin begegne ich der jungen Frau, die gerade herauskam: „Tosse“, lächelt sie verlegen, sie hat einen Hustenanfall. In der Loge noch ihr Begleiter, der mein Erscheinen missbilligend aufnimmt, aber, als ich, mich entschuldigend, wieder gehen will, unwirsch bedeutet, ich solle mich setzen, und es ist ja auch tatsächlich Platz für vier hier. Den Rest des Konzerts also von da gehört und so begeistert wie zuvor und wie auch die anderen, insgesamt vielleicht hundert Zuschauer.
Als gäbe es ein Drehbuch für diesen Abend dann auch noch in der kleinen Bar, wo wir nach dem Konzert noch einen Drink nehmen – Jazzmusik, dezent, aus der Stereoanlage, der Barbesitzer ist Jazzfan, höre ich.
Kein Schnee auf der Heimfahrt. Und auch keine Polizeikontrolle, was es offenbar doch auch gibt, ab und zu, selbst um diese Zeit kurz nach Mitternacht. Obwohl – ich bin ja nicht besoffen, nicht vom Alkohol. Ein bisschen vielleicht schon, durch die Endorphine, die dieser Abend in mir freigesetzt hat.
25.02.04
PS: Übrigens war das kein Solitär: kurz darauf las ich zufällig in der Zeitung von einem weiteren Konzert, am 4. März, diesmal in Senigallia, im "Gratis Club", das letzte von fünf Konzerten der Reihe "Sotto le stelle del Jazz", organisiert von der Comune di Senigallia, Ass. Politiche Giovanili. Hier spielte eine Big Band (18 Musiker), ebenfalls Modern Jazz, ebenfalls unglaublich gut, ebenfalls ohne Eintritt, ebenfalls in einem brechend vollen Raum der ehemaligen alten Stadtmauer.